Wird die Scheidung beantragt, muss sich der Ehepartner vor dem Familiengericht wegen des Anwaltszwangs anwaltlich vertreten lassen. Ist der Ehepartner selbst zugelassener Rechtsanwalt, stellt sich die Frage, ob er oder sie sich bei der Scheidung selbst vertreten darf oder für das Scheidungsverfahren eigens einen Kollegen oder eine Kollegin aus dem Rechtsanwaltsverzeichnis bestellen muss. Aus dem Gesetz ergibt sich jedenfalls keine direkt nachvollziehbare Antwort, so dass insoweit tatsächlich Bedarf besteht, über diese Frage nachzudenken.
Haben Anwälte ein Selbstvertretungsrecht vor Gericht?
Vor den Familiengerichten und den Amtsgerichten übergeordneten Gerichten besteht in der Regel Anwaltszwang. Anwaltszwang bedeutet, dass sich eine Partei nur durch einen zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen und auch in der mündlichen Verhandlung nur über den beauftragten Rechtsanwalt vortragen darf.
§ 78 Abs. 4 ZPO
§ 78 Abs. 4 ZPO bestimmt davon abweichend, dass ein in Deutschland zugelassener Rechtsanwalt das Recht hat, sich selbst in eigenen Angelegenheiten der Zivil-, Finanz-, Verwaltungs-, Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit zu vertreten. Es wäre offenbar reine Förmelei, einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin gesetzlich vorzuschreiben, dass er/sie nicht befähigt sei, sich in einem gerichtlichen Verfahren selbst vertreten zu können. Letztlich geht es in Anwaltsprozessen darum, dem Gericht den streitigen Sachverhalt so vorzutragen, dass das Gericht in sachlicher und rechtlicher Hinsicht in die Lage versetzt ist, den Vortrag zu beurteilen und eine Entscheidung zu treffen. Lediglich in Strafverfahren ist es einem Anwalt nicht gestattet, für sich selbst als Strafverteidiger aufzutreten.
§ 113 Abs. 1 S. 1 FamFG
Jetzt wird es juristisch. § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG bestimmt, dass in Ehesachen und Familienstreitsachen §§ 76 bis 96 ZPO nicht anzuwenden sind. Demgemäß wäre also auch § 78 Abs. 4 ZPO, in dem ein Selbstvertretungsrecht eines Anwalts vor Gericht erlaubt ist, ausgeschlossen. Insoweit wird argumentiert, dass es sich bei der Regelung im Familienverfahrensgesetz (FamFG) lediglich um Redaktionsversehen des Gesetzgebers handele, insoweit, als das in der Zivilprozessordnung bestehende Selbstvertretungsrecht immer besteht.
Es wäre Aufgabe des Gesetzgebers gewesen, dieses anwaltliche Selbstvertretungsrecht auch in das Familienverfahrensgesetz ausdrücklich hinein zu schreiben, genau so, wie er es auch in § 11 Abs. 4 S. 4 ArbGG , § 67 Abs. 4 S. 8 VwGO , § 73 Abs. 4 S. 5 SGG , § 62 Abs. 4 S. 5 FGO gleichermaßen formuliert hat. Nicht zuletzt bestimmt § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, dass die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend auch im Familienverfahrensgesetz gelten. Diese Einschätzung wird auch überwiegend so vertreten. Hinzu kommt, dass die Selbstvertretung nicht ausdrücklich gesetzlich ausgeschlossen ist, so dass kein Grund ersichtlich ist, diese nicht zuzulassen.
§ 45 Bundesrechtsanwaltsordnung
Ein weiteres Argument findet sich in § 45 Bundesrechtsanwaltsordnung. Danach kann sich ein Rechtsanwalt in einer eigenen Angelegenheit selbst vertreten, sofern sich aus der Vorschrift nichts Gegenteiliges ergibt. So darf ein Rechtsanwalt nicht tätig werden, wenn er in derselben Rechtssache bereits als Mediator oder Notar oder als Nachlassverwalter oder Betreuer befasst war. Derartige Tätigkeitsverbote kommen allerdings im Scheidungsverfahren eher nicht in Betracht.
Insoweit ist bestimmt, dass der Rechtsanwalt bei seinem Auftreten als Rechtsanwalt vor Gericht als Rechtsanwalt zu behandeln ist. Ein Rechtsanwalt als Partei kann also verlangen, so behandelt zu werden, wie ein Rechtsanwalt, ohne dass sie sich selbst zum Prozessvertreter zu bestellen braucht (KG NJW 1955, 593. Im Übrigen ergibt sich die Absicht, als Rechtsanwalt auftreten zu wollen, aus den Umständen. Im Zweifel ist anzunehmen, dass der Rechtsanwalt als solcher vor Gericht auftritt (BFH DB 1985, 28). Die Personenverschiedenheit von Rechtsanwalt und Mandant sei kein kennzeichnendes Merkmal des Anwaltsmandats (BGH NJW 2011, 232).
Die Gretchenfrage: Ist es sinnvoll, sich selbst zu vertreten?
Geht es nur darum, dass ein Rechtsanwalt dem Scheidungsantrag des Ehepartners zustimmen und gleichfalls geschieden werden möchte, ist die Frage unproblematisch zu beantworten. Für die bloße Zustimmung wird ohnehin kein Anwalt benötigt. Lediglich bei der streitigen Scheidung stellt sich die Frage, ob sich der Anwalt insoweit selbst als Verfahrensvertreter vertreten kann. Aus juristischer Sicht dürfte die Frage positiv zu beantworten sein.
Eine ganz andere Frage ist es jedoch, ob es denn zweckmäßig ist, sich in der eigenen Scheidungssache selbst vertreten zu wollen, wenn abzusehen ist, dass die Scheidung streitig verläuft. Letztlich wird es wohl so sein, dass sich die Frage jeder selbst beantworten möchte.
In eigenen Angelegenheiten ist man ein schlechter Berater
Dabei ist zu berücksichtigen, dass in einem streitig verlaufenden Scheidungsverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur sachliche Argumente ausgetauscht werden, sondern Emotionen und Befindlichkeiten den Blick trüben können und auch ein Anwalt mindestens Schwierigkeiten haben könnte, sein eigenes Scheidungsverfahren sachlich und objektiv abzuwickeln. Bekanntlich ist man in eigenen Angelegenheiten immer ein schlechter Berater. Es ist anzunehmen, dass diese Einschätzung auch für Anwälte Geltung haben dürfte.
Insoweit spricht einiges dafür, dass sich ein Anwalt im Scheidungsverfahren nicht selbst vertreten sollte und bei einer streitig verlaufenden Scheidung einen Kollegen oder eine Kollegin einbezieht. Dies fällt vielleicht umso leichter, als der Anwalt in einer Sozietät tätig ist und ein Kollege bereit ist, diese Aufgabe aus kollegialer und vielleicht menschlicher Sicht zu übernehmen.
Alles in allem
Dass dem Kollegen dabei auch juristische Unterstützung angeboten wird, steht auf einem anderen Blatt. Der scheidungswillige Anwalt könnte auch die für das Scheidungsverfahren notwendigen Schriftsätze verfassen. Wichtig ist, dass der beauftragte anwaltliche Vertreter, der den Scheidungsantrag dann unterzeichnet und das Scheidungsverfahren begleitet, eine möglichst objektive und sachliche Beurteilung der Sachverhalte ermöglicht und dazu beiträgt, dass das Scheidungsverfahren in sachlicher Art und Weise, zügig, nicht zuletzt kostengünstig und so wenig emotional belastend wie möglich bewerkstelligt werden kann.